Wissensformen



Wissensformen

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Wissensformen in Figur und Bild

Werner Oechslin, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln

Vorstellung, Anschauung, Fiktion
Wissen und Erkenntnis teilen sich in bestimmten, unterschiedlich gearteten Formen mit. Bevor man dies – und das ganze reiche Universum der Wissensformen – zur Darstellung bringen kann, muss man danach fragen, wie und aus welchen Beweggründen, mit welchen Mittel und gemäss welchen besonderen (günstigen) Bedingungen dies geschieht. Einer «Formenlehre des Geistes» (Cassirer), die sich vordringlich auf die Funktion der Zeichen und Symbole bezieht, muss sich ein Blick hinzugesellen, der sich vermehrt auf die Mittel und Umstände richtet und mitbedenkt, dass «die Speculation tausend kleine und grosse Nützlichkeiten» schafft. «Da schlägt sich die Speculation in das Mittel», schreibt Semper 1852 in Anbetracht einer in der Londoner Weltausstellung sichtbar gewordenen ‘modernen’ Welt, die scheinbar alles mit ihren Neuerfindungen überzieht und kaum noch Zeit bietet, sich in diese Situation ‘hineinzufinden’. Worte bezeichnen, Sätze behaupten, Figuren und Bilder ermöglichen es, auch komplexere Zusammenhänge ‘auf einen Blick’ zu erfassen. Schliesslich hat die Welt schon immer gewusst, was man durch die Sinne in privilegierter Weise erfährt – und mitteilen kann. Ein Inneres im Äusseren zur Darstellung zu bringen, galt als verbindliche Definition von Kunst. «Sie will nichts als darstellen, und unterscheidet sich dadurch, dass sie sich darin genügt, von allen praktischen auf einen besondern Zweck gerichteten Thätigkeiten», schreibt K.O. Müller 1830 lange vor der Autonomiedebatte der modernen Kunst. Die Kunst schafft Formen, die sich nach den Bedingungen von Raum und Zeit richten. Darin werden ‘organische’ genauso wie abstrakte Inhalte abgebildet. Entscheidend ist stets die «Art des Zusammenhangs» zwischen dem Inneren und dem Äusseren, dem Darstellenden und dem Dargestellten. Goethe äussert in seiner Farbenlehre, die Menschen seien «überhaupt der Kunst mehr gewachsen, als der Wissenschaft». Er verbindet dies mit der Ansicht, dass die Kunst sich in ihren einzelnen Werken – wie in einer (geschlossenen) Figur – ‘abschliesse’, die Wissenschaft uns dagegen grenzenlos erscheine. Und weil Wissen und Reflexion kein Ganzes erbrächten, «so müssen wir uns die Wissenschaft nothwendig als Kunst denken, wenn wir von ihr irgend eine Art von Ganzheit erwarten». «Der wissenschaftliche Inhalt bringt sich selbst seine Form hervor», sagt hinwiederum Karl Rosenkranz. Und so ist in jedem Falle klar, dass sich neben die (‘innerliche’) Welt der Gedanken und Vorstellungen nicht bloss eine äussere Abbild-Welt stellt, vielmehr folgt die dazu benötigte Welt der Formen eigenen Gesetzen und Kriterien. Umso mehr suchen wir den «Halt in der Anschauung». Und selbst da, wo sich unsere Spekulation in abstrakte Gefilde begibt, ist die «richtungsgebende Kraft» (David Hilbert) sinnenhafter Anschauung noch wirksam. Der Mensch verlässt – auch in der heutigen Zeit – die klar umschriebene und eingegrenzte Welt sinnlicher Wahrnehmung nicht. Was darin ist oder aber darüber hinausverweist, hat er sich stetsin ‘Formen’ erschlossen.