Rundgang



Rundgang

Bibliothek

Das am Westfuss des Meinradsberges gelegene, mit rötlichem Kalkstein – Rosso di Verona – eingekleidete Gebäude beherbergt die im Laufe eines Forscherlebens zusammengetragene Bibliothek des Einsiedler Architekturhistorikers Prof. Dr. Werner Oechslin. 1998 wurde, um die privaten Buchbestände weiteren Wissenschaftlern und Forschern zur Verfügung stellen zu können, die Stiftung Bibliothek Werner Oechslin gegründet und mit der ETH Zürich ein Nutzungsvertrag abgeschlossen. 2006 konnte das Bibliotheksgebäude fertiggestellt und eingeweiht werden. Es beherbergt heute eine der grössten europäischen Privatsammlungen von Quellenschriften des 15. bis 20. Jahrhunderts aus den Gebieten der Architektur- und Kunsttheorie sowie den benachbarten Wissensgebieten wie Mathematik, Philosophie, Theologie und Kulturgeschichte. Die Bibliothek steht Forschern und Wissenschaftlern zum Studium offen. Zudem werden in ihr verschiedene Veranstaltungen wie Tagungen und Kolloquien und der schon seit 2000 stattfindende Barocksommerkurs durchgeführt.

Architektur

Die im Garten des privaten Wohnhauses Gotteshausluegeten situierte Bibliothek wurde nach einem Entwurf des Architekten Mario Botta gebaut. Über die Luegeten (Strasse) führt noch heute der Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Er wurde zur Metapher für den sich im menschlichen Leben und beim Studium der Bücher vollziehenden Bildungsweg und gab auch den Anstoss für die architektonische Gestaltung des Gebäudes. Mario Botta hat das Gebäude sozusagen auf die alte Pilgerroute gesetzt. Auf der Westseite, über die steile Treppe erschlossen, führt im Erdgeschoss ein langer, zum Garten hin vollständig verglaster Gang von Norden nach Süden. In ihm befinden sich Vitrinen für Wechselausstellungen. Im Obergeschoss dieses Gebäudeteils sind die Büros untergebracht. Auf der Ostseite des Ganges schliesst der gegen den Hang geschwungene, wie die alten Klosterbibliotheken zwei Geschosse einnehmende Lesesaal an, dessen Wände vollständig mit Bücherregalen bedeckt sind. Das Kellergeschoss nimmt einen weiteren Teil des auf ca. 60'000 Bände geschätzten Bücherbestandes auf. Dort befindet sich zudem ein für Ausstellungen genutzter Raum.

Ausstattung

Die Ausstattung der Bibliothek mit Inschriften, Büsten und Wandbildern, wie sie auch in barocken Bibliotheken üblich ist, wurde von Werner Oechslin konzipiert. Die verschiedenen Elemente verweisen auf die Bedeutung von Bibliotheken, auf die Auseinandersetzung mit dem in den Büchern versammelten Wissen, auf den langen und schwierigen Bildungsweg, der zuweilen den Irrfahrten des Odysseus oder Aeneas ähneln kann.

Eingangsbereich:
Über dem Nordeingang befindet sich jene Inschrift, die Papst Sixtus V. (1585–1589) in dem von ihm errichteten Neubau der Vatikanischen Bibliothek anbringen liess. Es handelt sich um ein den Umgang und die Erhaltung der in der Bibliothek verwahrten Bücher betreffendes Dekret, in dem die Entfernung oder Beschädigung der Handschriften und Bücher verboten und denjenigen, die sich nicht an die Verordnung halten, mit der Exkommunikation gedroht wird. 

Auf dem Wandbild an der Ostseite ist die 'Gründung' einer ersten Bibliothek durch Alexander den Grossen wiedergegeben. Der Staatsmann steht am Grab des Achill und lässt in dieses die Schriften Homers einschliessen, der den Helden durch seine Verse unsterblich gemacht hatte. Seitlich des Wandbildes hängt der Kupferstich nach dem Raphael oder seinen Schülern zugeschriebenen Original des Bildes, das sich in der Stanza della Segnatura im Vatikan befindet. Die Inschrift darunter erklärt diese Bilderfindung: Sie steht am Beginn eines Sonetts aus Petrarcas Canzoniere und wurde von Baldassare Castiglione (1478–1529) in seine Schrift über den Hofmann – Il Cortegiano – aufgenommen. Sie bringt den Neid Alexanders über die Schilderung der Taten Achills durch Homer zum Ausdruck:

An Held Achills berühmtes Grab gelehnt, 
Seufzt Alexander aus des Herzens Grunde /
Glücksel’ger, dem Posaunenklang erdröhnet 
So herrlich aus so hohem Sängers Munde. 

(Übersetzung: Karl Förster). 

Im Cortegiano bedient sich Castiglione dieser Episode, um zu zeigen, dass der berühmte Feldherr Alexander die Dichtungen des Homer als wertvoller erachtete als die Taten des Achill, Dichtkunst also bedeutender einzustufen sei als Kriegskunst. Denn ohne Homers Bericht wüsste niemand von Taten und somit Ruhm Archills.

Links des Wandbilds ist eine Büste Alexanders des Grossen mit der auf die Gründung der Bibliothek bezogenen Inschrift aus den Oden des Horaz: „Ich habe ein Denkmal erbaut, (dauerhafter als Erz)“ angebracht. Der Architekt Claude-Nicolas Ledoux hatte sie auf den Titel seines Buches gesetzt, das er hoffnungsvoll dem russischen Zaren Alexander dedizierte.

Der verkleinerte Gipsabguss der Statue des Lorenzo di Medici von Michelangelos Medici-Grabmal in Florenz – verstanden als Verkörperung der Melancholie – mit der Inschrift „Es war Nacht“, der Stich mit der Darstellung des schlafenden Aeneas, dem im Traum der Gott Tiburinus erscheint, welcher ihm das Ende seiner Irrfahrten und die Gründung Roms verkündet: „Hier ist dir ein sicheres Haus“ und die Büste mit der Inschrift „Entweder Caesar oder Nichts“ (das Lebensmotto Cesare Borgias) sind ein Hinweis auf den langen und nicht einfachen Weg, den es von der ersten Idee bis zur Fertigstellung des Bibliotheksgebäudes bedurfte. Daran erinnert auch der Stich mit der Darstellung des Odysseus, der nach seiner langen Irrfahrt bei seiner Rückkehr gerade noch von seinem Hund erkannt wird.

Planungsänderungen während der Bauphase können zu unschönen Resultaten führen, die man in früheren Zeiten etwa durch Anbringung von Stukkatur zu kaschieren wusste. In diesem Fall wurde der Halbsäulenstumpf mit einer Karikatur versehen, die aus der von Matthias Claudius (1740–1815) herausgegebenen Zeitschrift Der Wandsbeker Bote stammt. Es ist das Portrait des „Präsidenten Lars“, zu dem Claudius lediglich bemerkt: „Ich weiss nicht mehr davon zu sagen, und das Werk mag seinen Meister loben“. Signiert ist die Karikatur mit „Raph. pinx.   Rembr. sc.“ ("Raffael hat es gemalt, Rembrandt gestochen").

Darunter findet sich ein Zitat aus der "Anatomy of Melancholy“ von Robert Burton (1577–1640), der sich das Pseudonym Democritus Junior zugelegt hatte. Im Buch ist er dem Bildnis des Autors zugeordnet: „Hier war ein kleines Plätzchen frei: Jetzt trägts des Autors Konterfei. Sein Geist entging dem Zeichenstift: Entdeck' ihn drum in seiner Schrift. Ihn trieb nicht (wies sonst üblich ist) Hierher – wenn Ihr es wissen müsst – Nur Eitelkeit und dummer Stolz: Der Drucker hat es so gewollt“.

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Gang:
In den Boden aus portugiesischem Schiefer sind vier Kompartimente aus Marmor eingelassen, deren Vorbilder sich in der von Michelangelo errichteten Bibliotheca Laurenziana in Florenz befinden. Decke und Wände sind mit zahlreichen Darstellungen, Schemata, Wissensformen aus Büchern der Bibliothek bemalt. Es handelt sich einerseits um geometrische und architektonische Figuren – etwa Untersuchungen zur Quadratur des Kreises –, andererseits um Darstellungen, die „auf einen Blick“ komplexe theologische, philosophische, mathematische und astronomische Inhalte zum Ausdruck bringen, wie etwa den Aufbau der Engelshierachien oder den kabbalistischen Lebensbaum, der aus 10 Sephiroth und 22 diese verbindenden Pfaden besteht.

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Lesesaal:
Der Lesesaal ist wie die barocken Klosterbibliotheken zweigeschossig. Auf der geraden Westseite befindet sich eine Balustrade, die den Zugang zu den Büchern ermöglicht. Die in einer leichten Krümmung verlaufende hohe Bücherwand auf der Ostseite wird über eine fahrbare Wendeltreppe, das sogenannte Trojanische Pferd, zugänglich gemacht. In den regelmässigen und mit klassischen Pilastern versehenen Regalen auf der Westseite ist einer der Kernbereiche der Bibliothek untergebracht: die Bücher zur Architekturtheorie. In der einfacheren, gekrümmten Bücherwand befinden sich Bücher zur Geschichte, angefangen mit theologischen Werken im Norden, über historische Texte mitsamt dem „aufgeklärten“ Geschichtswissen der Mauriner, archäologisches Schrifttum des 16.–18. Jahrhunderts, schliesslich im Süden die Geschichte der Kunstgeschichte mit Künstlerviten und Quellentexten. Das Regal ist zum einen mit der bekannten Definition der Geschichte aus Ciceros Schrift De Oratore – Vom Redner versehen: „Die Geschichte ist die Zeugin der Zeiten, die Lehrmeisterin des Lebens, das Leben der Erinnerung, das Licht der Wahrheit, die Verkünderin alter Zeiten“. Zum anderen findet sich der Schriftzug „VERUM ET FACTUM CONVERTUNTUR – Wahrheit und Tatsachen sind gleich“. Es handelt sich um den Schlüsselsatz des Philosophen Giambattista Vico (1668–1744). 

Der Schriftzug am Regal hinter der Laokoon-Gruppe – Was Rom gewesen ist, das lehren noch seine Ruinen – verweist auf den Inhalt der dort untergebrachten Bücher, Schriften des 16.–18. Jahrhunderts zur Archäologie und Kunstgeschichte der Stadt Rom. Auf sie nimmt auch das beim südlichen Treppenaufgang hängende Bild Bezug, auf dem die Figur des Pasquino wiedergegeben ist, jene 'sprechende Figur' in der Nähe der Piazza Navona in Rom, an der noch heute Zettel kritischen Inhaltes fixiert werden. Unter der 'Spottfigur' steht geschrieben, dass man angesichts der Unwissenheit, des Dunkels, die römischen Autoren zu konsultieren habe.

Die Ausstattung mit Bildern, Inschriften und der Laokoon-Gruppe folgt wiederum dem Motto des Weges. Auch hier waren die Irrfahrten der Helden des trojanischen Zyklus' und Vergils Aeneas ein Vorbild.

Beim Nordeingang ist im Boden die Inschrift Heilort der Seele eingelassen, die das Portal zahlreicher Bibliotheken schmückt. Die beiden Bilder – Aeneas, der – seinen Vater tragend – aus dem brennenden Troja flieht, und verschiedene Episoden aus der Aeneis – sind mit dem Schriftzug Quos ego – ich werde Euch versehen, dem Drohruf Neptuns an die Winde, die Aeneas im Auftrag Athenes zu Irrfahrten zwangen und ihn an der Gründung Roms hinderten.

Über dem Portal steht tolle lege – nimm und lies, somit der zentrale Satz aus den Bekenntnissen des Augustinus: Unsicher, ob er sich endgültig zu einem gottgeweihten Leben bekehren sollte, hörte Augustinus eine Kinderstimme – nimm und lies! –, woraufhin er die Schriften des Paulus aufschlug und jene Stelle fand, die ihn zur Abkehr von seinem lasterhaften Leben aufforderte.

Über dem südlichen Eingang steht sapere aude – wage zu wissen. Der von Horaz stammende Spruch erlangte Berühmtheit durch Immanuel Kant, der ihn in seiner Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? zitierte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Im Boden findet sich analog zum Nordeingang der Schriftzug Arznei für die Unsterblichkeit.

Der Gipsabguss der von Plinius als schönste antike Skulptur bezeichneten Laokoongruppe aus den vatikanischen Museen steht für das Ziel jeglicher wissenschaftlicher Beschäftigung, für die Wahrheitsfindung. Der Priester Laokoon hatte davor gewarnt, das Trojanische Pferd in die Stadt hereinzulassen, die Intrige der Griechen geahnt. Er musste dafür büssen, die Göttin Athene schickte die todbringenden Schlangen, Troja wurde erobert, Aeneas musste fliehen.

Die Inschrift  graecum est nil velare – Griechisch ist, nichts zu verhüllen mag durchaus mit der Wahrheitsfindung in Verbindung gebracht werden. In der Kunstliteratur taucht die Wendung im Zusammenhang mit der für die Griechen typischen Darstellung des nackten Körpers auf.

Zahlreiche Bibliothekare fanden den Tod durch Sturz von der Leiter. Es musste aus diesem Grund für einen sicheren Ersatz gesucht werden. Eine erste Idee lieferte die Militärgeschichte mit ihren Belagerungstürmen, schliesslich wurde im Turiner Staatsarchiv das Vorbild für die schiebbare Wendeltreppe gefunden. Sie erhielt – einem Topos der Bibliotheksliteratur entsprechend – die Bezeichnung das Trojanische Pferd der Bibliothek Oechslin. Der Schriftzug comparanda eruditio verweist auf die Möglichkeit des unmittelbaren Vergleichs des in den Büchern der Bibliothek versammelten Wissens. In diesem Sinne hatte der 1453 aus Konstantinopel nach Florenz geflüchtete Argyropoulus die Kulturblüte der Medici in Florenz mit den besten griechischen Kämpfern im Bauch des trojanischen Pferdes verglichen: tamquam ex equo Troiano quamplures prodiere viri eruditissimi = Gelehrte, Geistesfürsten so zahlreich wie Krieger im Bauch des trojanischen Pferdes.

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Deckeninschriften:
Die Balken der Decke sind mit Inschriften versehen. Es handelt sich um Texte, die wie 'geflügelte Worte' in der Literaturgeschichte immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet wurden und hier insbesondere auf das Lernen und die Suche nach Wahrheit bezogen sind. 

DIC CUR HIC = sag, warum hier. – Diese Worte benutzte der Hegelkritiker Friedrich Wilhelm Schelling, als er sich 1841 für seine Nachfolge auf dem Lehrstuhl Hegels in Berlin rechtfertigen musste. Auf ähnliche Weise bedurfte es der Rechtfertigung für die Situierung der Bibliothek im 'abgelegenen' Einsiedeln. Man kann die Frage aber auch im Sinne von Ou sommes nous? verstehen, als Hinterfragung des eigenen Denkens und Standpunktes, wie es Gottlieb Wilhelm Leibniz tat. 

PHILOSOPHEMUR = lasst uns philosophieren – lautete die Antwort von Henry Wotton in dessen Elements of Architecture aus dem Jahr 1624.

EX VISIS IUDICAT NON VISA = Aus dem Gesehenen schliesst man auf das nicht Gesehene.

ek pantôn en kai es enos panta = Aus Allem das Eine und aus Einem Alles. – Heraklit.

MONA MOI ΦIΛA = das Eine, die Einheit mir – Motto zu einem Titelholzschnitt, der eine nackte Frau unter der Sonne zeigt. In: Bernardino Telesio (1509–1588): De Colorum Generatione Opusculum. Neapel, 1570.

P.P.P.P.E.S.S.S.E.V.V.V.V.V.V.V.F.F.F.F. = Die schwierigste aller Abkürzungen, die für Inschriften typisch sind und die Beda Venerabilis wie folgt entzifferte: Primus pater patriae profectus est, secum salus sublata est, venit (oder: venis) victor validus, vicit (oder: vincens) vires urbis vestrae ferro, fame, flamma, frigore. – Laut Eberhard Werner Happel (1685) soll sich der Spruch auf Vespasian beziehen.

QVALE? QVANDO? VBI? QVOMODO? CVM QVO? = Wie beschaffen? Wann? Wo? Auf welche Weise? Mit was?“ / „VTRVM? QVID? DE QVO? QVARE? QVANTUM? - Ob? Was? Über was? Warum? Wieviel? – Der Fragenkatalog aus der ars brevis des Raimundus Lullus.

SCRVTANTI MELIORA PATENT = Dem Suchenden stehen die besseren Dinge offen.

NON EST MORTALE QUOD OPTO = Es ist nicht vergänglich, wonach ich strebe.

HAE TIBI ERVNT ARTES = Diese werden Deine Fähigkeiten sein.– Vergil, Aeneas, VI, 852.

pantes anthrôpoi tou eidenai oregontai physei = Alle Menschen sind von Natur aus begierig zu wissen. – Aristoteles, 1. Satz der Metaphysik.

HAC ITER ELYSIVM NOBIS = Dies ist uns der Weg nach dem Elysium – Vergil, Aeneis, VI, 542.

HOMINI HOMO DEVS = Der Mensch ist dem Menschen Gott.– Taucht bei Vergilius Polydorus (ca. 1470–1555) in einer Sammlung lateinischer und griechischer Sprichwörter auf und weist entgegen dem homo homini lupus auf den Wert des Menschen für den Mitmenschen hin. 

SAPIENS VBIQVE TVTVS = Der Weise ist überall sicher (geborgen).

VITAM IMPENDERE VERO = Das Leben dem Wahren widmen. – Juvenal, Satiren, IV, 91. Von Jean-Jacques Rousseau und Charles de Montesquieu zitiert.

HOMO SVM NIHIL HVMANI A ME ALIENVM PVTO = Ich bin ein Mensch, und glaube, dass mir nichts Menschliches fremd ist. – Dieser vielfach zitierte Spruch, Ausdruck für die Anteilnahme an den Geschicken der Mitmenschen, geht auf den griechischen Dichter Menandros zurück

TRAHITVR DVLCEDINE CANTVS = Er wird durch die Süsse des Gesangs angezogen.

QVASI SPLENDOR FIRMAMENTI = Wie der Glanz des Himmels. – Daniel 12,3: "Und die da lehren, werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich“. Textstelle, die mehrfach zur Rechtfertigung mönchischer Gelehrsamkeit diente.

VITAM PRAESENTIA REDDIT = Die Gegenwart gibt das Leben zurück.

VT ERVAS ET DESTRVAS VT PLANTES ET AEDIFICES = Wie du ausreisst und zerstörst, so mögest du pflanzen und bauen. – Jeremia, 1.10., als Motto verwendet vom Franziskanermönch, Architekten und Architekturtheoretiker Carlo Lodoli.

EUNDO – Im Gehen. – Vergil: “Fama ccit eundo”

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Rotunde im Kellergeschoss:
Der runde Raum beherbergt in erster Linie Bücher aus dem Bereich der Kulturgeschichte. Im Boden vor dem Eingang ist das Motto der platonischen Akademie eingelassen: OYΔΕΙΣ ΑΓΕΩΜΕΤΡΗΤΟΣ ΕΙΣΙΤΩ (OUDEIS AGEÔMETRÊTOS EISITÔ) = Wer nichts von der Geometrie versteht (der „Ageometretos“), der soll nicht eintreten. In der Mitte steht eine Kopie der Stele des Hammurabi (ca. 1800 v. Chr., 1902 in Susa gefunden), auf der der älteste bekannte Gesetzestext steht. Oben wird gezeigt, wie der Gott Schamach Hammurabi die Instrumente des Architekten – Knotenschnur und Massstab – überreicht, die dieser zur Einteilung und Ordnung seines Reiches benötigt. Die im Steinboden eingelassene Spirale ist wiederum eine Metapher des Bildungsweges, den Friedrich Schlegel mit folgenden Worten bezeichnete: „Wollt Ihr zum Ganzen, seid Ihr auf dem Weg dahin, so könnt Ihr zuversichtlich annehmen, Ihr werdet nirgends eine natürliche Gränze finden, nirgends einen objectiven Grund zum Stillstande, ehe Ihr nicht an den Mittelpunct gekommen seid“. Als Vorbild für die Spirale diente eine von dem Mathematiker Nikolaus Goldmann konstruierte Volute des ionischen Kapitells, die der Universalhistoriker und Architekt Juan Caramuel y Lobkowitz in seiner Architectura civil recta y obliqua (1678) als die schönste Volute bezeichnete. Die Decke schmückt ein Ausschnitt des mittelalterlichen Sternenhimmels mitsamt den dort versammelten mythologischen Sternenbildern. Die Wände der Öffnung zeigen die Konstellation von Gürtel und Schwert des Orions und die der Plejaden aus Galileo Galileis Schrift Sidereus Nuncius (1610). In dieser hatte Galilei seine neuen Kenntnisse über die Sternbilder vorgestellt, die ihm nach der Verbesserung des 1608 von Hans Lipperhey erfundenen Fernrohrs möglich geworden waren. An der Decke stehen sich also der antike, mythologische Himmel und der durch den 'wissenschaftlichen Blick' erforschte Himmel gegenüber.

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Die nach dem hebräischen Alphabet aus 22 Segmenten bestehenden Regale sind mit vier Büsten geschmückt. Im Süden befindet sich der Grieche Perikles, im Westen Voltaire, im Norden Goethe und im Osten Nietzsche. Ihnen sind Bücher inhaltlich zugeordnet: Es beginnt im Süden mit Editionen und Kommentaren der griechischen Philosophen, es folgen die theologischen, philosophischen und mathematischen Bücher vom 15. bis 17. Jahrhundert. Unter der Büste Voltaires sind die Schriften der französischen Aufklärung mitsamt der Encyclopédie von Diderot und D’Alembert versammelt. Goethe ist der Patron der Schriften der deutschen Klassik, Nietzsche im Osten schirmt die Werke des 19. und 20. Jahrhunderts.

Das Portal zum Keller des alten Wohnhauses rahmen zwei grosse Stuckvoluten. Ihre Vorbilder sind die von Michelangelo entworfenen Voluten in der Eingangshalle der Bibliotheca Laurentiana in Florenz. Die Inschrift ED IO ANCHE SON PITTORE = Und auch ich bin Maler geht auf den jungen Maler Correggio zurück, der diese Worte vor einem Bild Raffaels gesagt haben soll. Sie wurden von dem französischen Revolutionsarchitekten Etienne-Louis Boullée aufgegriffen, der damit verdeutlichen wollte, dass sich der Architekt nicht als Planer und Handwerker, sondern als Künstler versteht, dessen Fähigkeiten und Wissen insbesondere durch prachtvolle Zeichnungen zum Ausdruck gebracht werden. Im Türsturz ist eines der Ordnungssysteme wiedergegeben, die Boethius in seiner Arithmetik entwickelt hat. Den Boden ziert ein salomonischer Knoten, in den ein 96stimmiger Kanon eingeschrieben ist. Das Bild auf der linkten Seite des Portals verweist auf die Inschrift am Eingang zur Rotunde. Wiedergegeben ist die platonische Akademie. Auf der anderen Seite findet sich eine Darstellung des von Platon in der Politeia geschilderten Höhlengleichnisses. 

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